Afrika Cup 2024: Côte d‘Ivoire zwischen Euphorie, Drama und Heilung
Der Bus für die internationalen Medienleute ist mit großer Verspätung von Abidjan losgefahren. Nach sechs Stunden Fahrt erreichen wir Bouaké, die zweitgrößte Stadt des Landes. Das Begleitfahrzeug mit schwer bewaffneten Gendarmen versucht die richtige Zufahrt zu finden, der Bus bahnt sich den Weg durch gut gelaunte Fans. Das Spiel Algerien – Burkina Faso hat inzwischen begonnen. Endlich beim Medieneingang angekommen, heißt es wir sind zu spät für die SAD-Tickets, wir dürfen nicht auf die Medientribüne. Nicht nur der südafrikanische Fotograf, der für Associated Press arbeitet, wirkt unlocker: „Why is CAF doing this to us?“.
Erst Minuten vor Ende der ersten Halbzeit gelangen wir ins Stadion von Bouaké. Auf den Rängen dominieren die Farben von Burkina Faso. Die Stimmung ist fantastisch. Das „Stade de la Paix“ ist mit 33.000 Zuschauern annähernd voll, eine absolute Rarität beim Afrika-Cup, wenn nicht gerade das Gastgeberteam spielt. Mit ein Grund ist die große burkinische Community im Land. In der wirtschaftlichen Blütezeit von Côte d’Ivoire bis Ende der 1970er Jahre, zog es viele Migranten aus den Nachbarländern Burkina Faso und Mali in den wohlhabenden Süden.
Noch vor der Pause spielt Leverkusens Edmond Tapsoba von links einen Traumpass in den Strafraum, den Mohamed Konate (Achmat Grosny) spektakulär mit dem Kopf zum 1:0 verwerte. Der Lärmpegel erreicht nun einen Höchstwert. Am Ende steht es 2:2 nachdem Algerien spät in der Nachspielzeit noch ausgleichen konnte.
In Bouaké gab es nicht immer solche ausgelassenen Fußballfeste. Im Gegenteil. Mit dem Beginn des Bürgerkriegs im September 2002 haben die Rebellen die Stadt zum Leidwesen vieler Einwohnern zu ihrer Hauptstadt gemacht. Das Land wurde de facto geteilt in den regierungsdominierten Süden und den Norden, in dem die Rebellen der Nouvelles Forces das sagen hatte, dazwischen ein paar UN-Blauhelme und Franzosen. Auslöser war ein Gesetz bei der Wahl im Jahr 2000, das Nachkommen von Immigranten von der politischen Teilhabe ausschloss. In Bouaké, der Heimat der Brüder Kolo und Yaya Touré, nutzen die Rebellen das Stadion für die Ausbildung neuer Kämpfer, der Fußball kam zum Erliegen.
Doch der Fußball spielte auch eine wichtige Rolle im Friedensprozess. Der damalige Superstar der Les Elephants, Didier Drogba, schaffte es 2007 das Qualifikationsspiel für den Afrika Cup 2008 gegen Madagaskar nach Bouaké zu verlegen. Côté d’Ivoire gewann 5:0 und im Publikum feierten ehemalige Todfeinde gemeinsam. Seither wird das Stadion von Bouaké Stade de la Paix genannt. Das letzte Tor schoss Drogba und stieg damit endgültig zu einer nationalen Lichtgestalt auf. Der Konflikt flammte später noch mal auf, seit 2011 herrscht aber dauerhaft Frieden.
Nach einer unfreiwillig aufregenden nächtlichen Herbergsuche gemeinsam mit dem dänischen Freelancer und Entwicklungsforscher, Buster Kirchner treffen wir am Tag nach dem Spiel den Volunteer Marius Benihoi, der gerade sein Doktorat in britischer Literatur macht. Marius lebte während des Bürgerkriegs in Bouaké, er sagt: „This time of celebrating the African Cup of Nations in city is like healing, people start to forget the past memory, they are living a new live, its reconciliation”. Marius meint in der Stadt wären noch an einigen Gebäuden Einschusslöcher zu sehen. Ich gehe zum modernistischen Ran Hotel, doch die laufende Renovierung durch das Kulturministerium, haben die augenscheinlichen Wunden der Vergangenheit zum Verschwinden gebracht.
Organisatorischer Traumstart und spielerisches Desaster für das Gastland
Nach dem desaströsen Afrika Cup vor zwei Jahren in Kamerun, bei dem es beim Viertelfinale zwischen Kamerun und den Komoren aufgrund von Sicherheitsmängel zu einer Tragödie kam: beim Öffnen eines Tors kam es zu einem Gedränge, bei dem acht Menschen vor dem Olembé-Stadion in Yaoundé starben.
Dass sich ähnliche s nicht wiederholt sind bei dem Turnier rund 17.000 Soldaten und Polizisten sowie 2.500 Stadionmitarbeiter im Einsatz. Der Staat hat 1 Milliarde Dollar in die Erneuerung der Infrastruktur investiert, ein Großteil davon in den Straßen- und Stadionbau, allein das nach dem Präsidenten Alassane Ouattara benannte Finalstadion außerhalb von Abidjan hat laut The Athletic 330 Millionen Dollar gekostet. Erbaut wurde es von der Beijing Construction Engineering Group im Zuge einer langjährigen Kooperation mit China.
Ein Freundschaftsspiel gegen Mali im September 2023 brachte die lokalen Organisatoren in Verlegenheit. Sintflutartige Regenfälle überschwemmten das Spielfeld, woraufhin das Spiel in der Halbzeit abgebrochen werden musste. Das Prestigeprojekt geriet zur Lachnummer. Der Skandal erzürnte Präsident Ouattara und kostete Sportminister Claude Paulin Danho den Job. Auch die Entlassung des Premierminister Patrick Achi im Oktober soll mit dem Vorfall in Zusammenhang stehen.
Inzwischen läuft das Turnier seit elf Tagen und man spürt förmlich das Aufatmen bei den lokalen Organisatoren und bei der CAF. Anfänglich gab es Probleme mit dem Ticketing, da Eintrittskarten nur Online angeboten wurden, inzwischen gibt es aber etliche Verkaufsstände und mehr Fans in den Stadien, zumindest in jenen die gut erreichbar sind. Die Einlasskontrollen in die Stadion verlaufen effektiv und ohne viel Drama.
Ein Glückfalls ist auch ein Gastgeber, in dem Fußball von der Mehrheit der Menschen zelebriert wird. Die Menschen freuen sich das Turnier nach 1984 endlich wieder im befriedeten Land abhalten zu können. In den Städten sind Kreisverkehre mit überdimensionierten Plastikstoßzähnen geschmückt, öffentlich Plätze und Gebäude werden in den nationalen Farben Orange, Weiß und Grün illuminiert, überall in den Straßen, Restaurants und Verkaufsständen die ivorischen Farben und Flaggen. Neben den großen Public Viewings gibt es unzählige informelle Public Viewings, scheinbar jedes Lokal und viele Shops stellen TV-Geräte zum Übertragen der Spiele auf. Und auch der Taxifahren der mich am zweiten Tag zum Flughafen bringt, um mein verlorenes Gepäck abzuholen, heißt den angereisten Le Blanc aufrichtig willkommen, er schwärmt „Afrique est bien!“
Performance des ivorischen Teams
Weniger glatt läuft es für Côte d’Ivoire spielerisch auf dem neu verlegten Rasen des 60.000 Plätze Stadions in Epimbé. Nach dem Auftaktsieg gegen Guinea-Bissau folgte eine 0:1 Niederlage gegen Nigeria. Im letzten Gruppenspiel setzte es eine historischen 0:4 Pleite gegen Äquatorial-Guinea, dem Semifinalisten des Turniers von 2015. „Es ist ein Albtraum, den wir durchlebt haben“, sagte der französische Trainer der Elfenbeinküste, Jean-Louis Gasset. Die Qualifikation als einer der besten Gruppendritten ist aber immer noch möglich. Nach dem Abdanken der Goldenen Genration um Didier Drogba, die Touré Brüder, Didier Zokora, Emmanuel Eboué, Cheick Tioté oder Gervinho, die 2015 den kontinentalen Titel holte, scheint das Nationalteam nach wie vor in einer Findungsphase.
Bester Start eines Afrika Cup?
Am Rasen wird schon in der Vorrunde Spektakel geboten. Waren es in Kamerun bis zum heutigen Zeitpunkt (2 Gruppen haben dritten Spieltags abgeschlossen) noch 48 erzielte Tore, sind er hier schon 78 – also um 30 mehr. Der Fußball entwickelt sich weiter und Underdog-Teams wie Kap Verde (0:1 gegen Ghana, 2:2 gegen Ägypten), Mozambique (jeweils 2:2 gegen Ägypten & Ghana) oder Tansania (1:0 gegen WM-Teilnehmer Tunesien) spielen offensiveren Fußball. Bis dato gab es kein einziges 0:0, die oft bleiernen Spiele vergangener Afrika Cups -öfter unter Beteiligung nordafrikanischer Teams - scheinen ein Ende zu haben. Mit dafür verantwortlich auch der seit Ägypten 2019 eingeführte neue Turniermodus mit 24 Teilnehmern, der mehr Risiko erlaubt. Denn aus den sechs Gruppen kommen auch die besten vier Gruppendritten weiter. Bis 2017 galt mit 16 Teams noch die Devise verlieren verboten. Davon könnte ausgerecht der schwächelnde Gastgeber profitieren.
Heute stehen für mich in der nominellen Hauptstadt Yamoussoukro die Doppelpack Matches Guinea v. Senegal und Angola v. Burkina Faso auf dem Programm, morgen geht es zurück nach Abidjan mit dem Plan die Akademie des erfolgreichsten ivorischen Vereins ASEC Mimosas zu besuchen und einem Interview mit dem Eintracht Frankfurt Spieler Omar Marmoush nachzujagen. Am Samstag, 27. Jänner starten dann die Achtelfinalbegegnungen.
Die Beobachtung der menschenrechtlichen Situation und die Berichterstattung vom 34. Afrika Cup ist Teil des von der Austrian Development Agency (ADA) geförderten Projekts Unser Spiel für Menschenrechte.