Female Empowerment durch Fußball – Die U20 WM in Kolumbien als Fallbeispiel

Robert Florencio berichtet für fairplay aus Bogota (Kolumbien).

 

Am Sonntag dem 22. September 2024 ging die 11. Ausgabe der U20 Frauen-WM mit dem Finalsieg Nordkoreas über Japan nach insgesamt 52 Spielen zu Ende. Diese WM-Endrunde brachte etliche Neuheiten. Erstmals qualifizierte sich ein österreichisches Frauenteam für eine FIFA-Weltmeisterschaft. Mit der Aufstockung von 16 auf 24 Teams, durfte jeder der sechs FIFA- Kontinentalverbände zumindest einen zusätzlichen Teilnehmer stellen. Mit Ausnahme Ozeaniens war diese Aufstockung auch rein von der sportlichen Leistung her betrachtet ein positiver Schritt.

Frauenfußball ist bekanntlich auch in Europa leider noch immer mit vielen Stereotypen und belächelnden Kommentaren behaftet, und fast noch mehr in den Strukturen des Globalen Südens. „Future Stars of Football“ ist der erfreulicherweise geschlechtsneutral geschriebene Slogan auf allen Teambussen. Und tatsächlich hat die FIFA zumindest aus dem Vorfall mit dem spanischen Verbandsboss Luis Rubiales gelernt.

Seit dieser WM ist jedes Team verpflichtet, eine*n eigene*n Safeguarding Manager*in zu ernennen, der*die Ansprechpartner*in bei allfälligen sexuellen Belästigungen der Spielerinnen ist. Mit Lucy Cunningham wurde auch das Amt einer zentralen FIFA-Beauftragen dafür geschaffen, die eine strikte Zero Tolerance-Politik bei dieser Thematik verfolgt und auch anonymen Hinweisen nachgeht. In den Speisesälen und Kabinen machen entsprechende Flyer mit Kontaktadressen für alle sichtbar darauf aufmerksam. Des Weiteren hat die FIFA auch ein internes soziales Netzwerk für alle Spielerinnen eingerichtet, um die teamübergreifende Kommunikation zu erleichtern. Während diese Schritte als positiv zu bewerten sind, bleiben natürlich zahlreiche Kritikpunkte. Obwohl der Weltverband auf Milliardenreserven sitzt und laufend neue lukrative Sponsoringverträge mit arabischen und chinesischen Unternehmen abschließt, bleibt es bei einer unverständlichen Null-Dotierung für alle Teilnehmerinnen. Es ist daher absehbar, dass mit zunehmender Professionalisierung künftig immer weniger Vereine, auch wegen fehlender Kompensationszahlungen der FIFA an die Vereine bei Verletzungen, bereit sein werden, ihre Spielerinnen für die Nachwuchsfrauenturniere abzustellen.

Superpoderosas – die Übermächtigen

Was die Zahl der Zuschauer*innen betrifft, konnte die kolumbianische Auswahl, auch liebevoll „Superpoderosas“ (die Übermächtigen) genannt, einen seit 2012 bestehenden Rekord des Heimteams mit im Schnitt immer über 30.000 Besucher*innen bis zu deren Ausscheiden im Viertelfinale einstellen. Ansonsten war man aber von den Besucher*innenzahlen der A-WMs 2019 und 2023 weit entfernt, lediglich Spanien schaffte es mit dem Achtelfinale gegen Kanada knapp über die 10.000er Marke. Die meisten Spiele mussten mit lediglich tausend bis dreitausend Anwesenden auskommen, was einerseits an komplizierten Ticketkonstruktionen über das Internet lag, und andererseits an der im Gegensatz zur U20 WM der Männer im Jahr 2011 fehlenden Bereitschaft den Anstoß auf frühere Beginnzeiten zu verlegen, um auch Schulklassen einladen zu können, die damals für volle Stadien und Stimmung gesorgt haben.

Seit dem Ausscheiden der Heimmannschaft im Achtelfinale ist das Intereses in der Öffentlichkeit nahezu gegen Null gesunken. In Bars und Restaurants weiß man oft gar nicht, dass die U20 WM gerade stattfindet, auf den Big Screens laufen nationale und internationale Bewerbsspiele des Männerfußballs. In den nationalen Medien und den beiden großen Free-TV Stationen wird eine künstliche Feststimmung erzeugt, die sich aber in den Zugriffszahlen überhaupt nicht niederschlägt.

Frauenfußball in Kolumbien wird auch durch diese WM zumindest kurzfristig keinen Aufschwung nehmen. Der Wille ist der Regierung des linksorientierten Präsidenten Gustavo Petro zwar nicht abzusprechen, aber es hapert an der Umsetzung. So wurden die gutgemeinten umgerechnet knapp über 1.7 Millionen Euro Förderung von Regierungsseite für die Etablierung eines professionellen Ligabetriebs nur zu 60% vom Ligaverband abgerufen, ein millionenschwerer Sponsoringvertrag mit einem ausländischen Großsponsor über mehrere Saisonen, der von der nun in die Türkei gewechselten Torfrau Vanessa Cordoba eingefädelt wurde, kam aus mysteriösen Gründen nie zustande.

In den zuständigen Verbandsgremien sitzen übrigens ausschließlich Männer, die nur 15 Vereine zur Teilnahme überzeugen konnten, die wiederum ihren Spielerinnen Großteils keine finanzielle Perspektive bieten können. Eine Studie der Regulierungsbehörde für Handel und Industrie kam zu dem ernüchternden Ergebnis, dass fast die Hälfte der Verträge nur zwischen umgerechnet 210 bis 260 Euro Monatsgehalt ausmachen, während ein männlicher Profifußballer in der höchsten Liga im Schnitt 22.500 Euro verdient.

Noch dazu dauert die Liga nur von Februar bis August, die Hälfte der Teams scheidet schon vor der Play-off Phase im Juni aus dem Turnier aus und damit endet auch der Vertrag. Somit bestehen keinerlei Perspektiven für die Spielerinnen ihre Karriere im eigenen Land voranzutreiben. Einziger Weg bleibt das Ausland. Für Natalia Prieto, die das führende Portal „Femina Futbol“ betreibt, die Chance ein selbstbestimmtes Leben zu führen und zum Vorbild für kickende Mädchen zu werden, die fast alle aus bescheidenen Verhältnissen stammen und zumeist über ihre Brüder oder Freundinnen zum Fußball gekommen sind. „Der Multiplikatoreffekt ist definitiv gegeben“ meint sie. „Die Kolumbianerinnen schauen auch vielmehr auf Spieler, die im Ausland engagiert sind“. Mit Shootingstar Linda Caicedo von Real Madrid und Mayra Ramirez, die erst kürzlich mit knapp 450.000 Euro zum bis dato teuersten Transfer im Frauenfußball mit ihrem Wechsel von Levante zu Chelsea wurde, sind die Role Models vorgegeben. Und natürlich haben alle den gleichen Wunsch: „die Familie aus der Misere zu holen, der Mutter eine Wohnung, dem Vater ein Auto kaufen“. Dass das mit Fußball jetzt auch für Frauen möglich wird, sei eine neue Erkenntnis und fordere natürlich das Interesse und die Entwicklung des Sports, auch wenn der Verband noch immer trotz WM den Frauen- und Mädchenfußball stiefmütterlich behandelt und der aktuelle U20 Coach Carlos Paniagua auch die U19 und U17 Teams betreuen muss. Oft sind es daher private Initiativen, wie Unternehmen oder NGOs, die den Frauenfußball in seiner Entwicklung an der Basis vorantreiben und weniger die klassischen Männervereine, die erst später aus diesem Talentepool von oft aus der Peripherie stammenden Mädchen zugreifen. Somit ist der Antrieb der Armut zu entfliehen und weniger das Vergnügen, das viele Mädchen antreibt, in eine mögliche Karriere im Sport Zeit und Anstrengungen zu investieren.

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Frauenrecht am Subkontinent

Die generelle Situation für Frauen hat sich in den letzten Jahren in Südamerika kontinuierlich verbessert, und Kolumbien ist mit der legalisierten Abtreibung seit 2022 gemeinsam mit Argentinien und Uruguay sogar Vorreiter in diesem Frauenrecht am Subkontinent. Die Verfassung von 1991 gewährt am Papier den Frauen umfangreiche Rechte wie die gleichgeschlechtliche Ehe, die Realität sieht in der Praxis aber vielfach noch immer ganz anders aus.

Denn die Femizidrate ist eine der höchsten der Welt und Frauendemos zum Weltfrauentag werden regelmäßig von Spezialpolizeieinheiten mit Tränengas wegen angeblicher Störung der öffentlichen Ordnung gestört bzw. beendet. Gar nicht zu reden von Millionen alleinerziehender Mütter, die auf keinerlei effektive behördliche Unterstützung bei der Durchsetzung ihrer Alimenteansprüche zählen können und ihre Kinder wegen langer Arbeitszeiten und zeitraubenden Transportwegen kaum länger als eine Stunde am Tag wach sehen.

Die Mehrheit der Kolumbianerinnen ist im informellen Sektor tätig und erreicht zumeist nicht einmal das staatlich festgesetzte monatliche Mindesteinkommen von umgerechnet knapp 290 Euro. Auch mit Universitätsabschluss ist es als Frau kaum wahrscheinlich mehr als den dreifachen Mindestlohn bezahlt zu bekommen. Am unteren Ende der Skala gibt es eine Art minimale Sozialhilfe für gerade 190.000 der geschätzt 10 Millionen Einwohner*innen Bogotas. Mehr als ein Viertel von ihnen, darunter natürlich viele besonders vulnerable Kinder und Frauen, erreicht nicht die von der WHO empfohlene tägliche Mindestkalorienmenge.

Dieser tristen Realität stehen auch Erfolgserlebnisse wie der zunehmende Bildungsgrad von Frauen, mehr Berufschancen für Frauen bei Polizei, Militär und in der Politik entgegen. Mit der Bürgerrechtlerin Francia Marquez ist die erste afrokolumbianische Frau zur Vizepräsidentin ernannt worden und es wird damit gerechnet, dass bei der nächsten Präsidentschaftswahl erstmals auch eine Frau - wie schon in diversen anderen lateinamerikanischen Ländern - ins Amt gewählt werden könnte. Dass dies nicht zwingenderweise mit „Good Governance“ einhergeht, zeigt der Fall des Sportministeriums. Seit Petros Amtsantritt im August 2022 werkt mit Luz Lopez mittlerweile die dritte Ministerin, die ebenfalls schon wegen Nichterfüllung des Budgetplans in der Kritik steht. Die Erstwahl, die Olympiasiegerin Maria Isabel Urutia, musste wegen Unregelmäßigkeiten in der Auftragsvergabe von ihrem Amt zurücktreten. Auch ihrer Nachfolgerin, die Erziehungswissenschafterin Astrid Rodriguez, bewies keine glückliche Hand: wegen einer Fristversäumnis für eine Zahlung an das Panamerikanische Komitee zur Austragung der Spiele 2027 in Barranquilla musste sie zurücktreten, was zur Folge hatte, dass Kolumbien die Spiele entzogen wurden.  

FIFA Frauen-WM 2027 in Brasilien im Blick  

Somit ist abschließend festzustellen, dass die Ausrichtung der FIFA U-20-Frauen-Weltmeisterschaft 2024, des weltweit wichtigsten Nachwuchsturniers für Frauen, für das Ausrichterland Kolumbien, auch wegen des Verpassens des Semifinales und der damit verbundenen Möglichkeit eines Spiels um den dritten Platz, im kollektiven Gedächtnis der Kolumbianer*innen wenig Spuren hinterlassen und schnell vergessen werden wird.

Mittel- und langfristig könnten aber Erfolge heimischer Kickerinnen auf internationaler Ebene, insbesondere bei der 2027 anstehenden A-WM im Nachbarland Brasilien, sehr wohl nachhaltige Auswirkungen haben, und zu einer besseren Dotierung der Sportart und damit verbundenen positiven Effekten wie erhöhte Medienberichterstattung, mehr Zuschauerinteresse, höhere Sponsorenzahlungen und vor allem eine wesentlich längere Meisterschaftssaison mit höheren Fixzahlungen für die Spielerinnen führen.

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Robert Florencio war bei der U20 Frauen WM für den ÖFB als Übersetzer und Assistent des Teammanagers tätig. Nachdem unglücklichen Ausscheiden des ÖFB-Teams gegen Nordkorea war er in der Finalphase für das Fußballmagazin ballesterer als Journalist akkreditiert. 

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