Im Rahmen des UN Menschenrechtsrates im Juni 2016 in Genf erinnerte der Hohe Kommissar für Menschenrechte, Seid bin Ra’ad Seid Al-Hussein an das grundsätzlich große Potential des Sports und des Olympischen Ideals, das Einhalten von Menschenrechten zu fördern. Gleichzeitig erwähnte er, dass gerade Sportgroßereignisse immer mehr in Verbindung gebracht werden mit Menschenrechtsverletzungen verschiedenster Art. Dem zum Trotz hätten Staaten die Pflicht, Menschenrechte zu schützen, Sportorganisationen die Pflicht, diese zumindest zu achten.
Nun, nach dem Ende der Olympischen Spiele stellt sich einmal mehr die Frage, ob Rio 2016 ein gutes Beispiel für ein Großevent war, das sportlich, wirtschaftlich als auch sozial nachhaltig ist, ob sich der Olympismus hin zu einer Bewegung entwickelt, die (wieder?) von Nutzen sein kann. Kurze Antwort: nein. Oder, um es positiv zu formulieren: vorerst noch nicht.
Wohl gibt es erste Schritte, wie etwa das Reformprogramm des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), die Agenda 2020, die erstmals menschenrechtliche Aspekte bei der Vorbereitung und Austragung berücksichtigt, noch aber ist es ein weiter Weg.
Das IOC gewinnt, Brasilien verliert
An den Wettkampftagen in Rio zeigte sich immerzu dasselbe Bild: lange Schlangen vor den Eingängen, leere Ränge in den Stadien. Das Ereignis wurde von den Menschen in Rio nicht wie erwartet frequentiert. Ein ganz anderes Bild zeigte sich vor den TV-Bildschirmen: knappe fünf Millionen sahen das Event im ORF. ARD und NBC vermeldeten Rekordquoten. Dies bedeutet kurzum, die kurzfristig nötigen Subventionen des Staates Brasilien sowie sämtliche Sponsoringverträge und Steuervorteile des IOC und TV-Quoten, die einen Großteil der Finanzierung der Spiele einbringen, miteinberechnet: leere Kassen in Rio, volle Kassen in Lausanne, wo das Hauptquartier des IOC angesiedelt ist.
Vor den Spielen äußerte Rios Bürgermeister Eduardo Paes, selbst kein Unschuldiger an der Ausrichtung des Ereignisses, sogar Kritik an dem Event: Die Spiele seien – im Angesicht der fehlenden Strategie zur Nachnutzung der Sportstätten – „eine Schande“. Thomas Bach hingegen, Präsident des IOC, sah Rio 2016 als vollen Erfolg. Vor allem wäre bestätigt worden, dass auch Länder mit geringerem Bruttosozialprodukt gute Spiele organisieren können.
Fakt bleibt, dass das Event, das aus sportlicher und infrastruktureller Sicht gut organisiert war, mit Ausgaben in der Höhe von knapp 11 Mrd. Euro, die zu einem großen Teil von den Steuerzahler_innen getragen wurden, das bisher teuerste in der Geschichte der Olympischen Spiele war.
Spiele der Inklusion?
All dem zum Trotz sprach Bach davon, dass das wahre Leben in einer Stadt mit sozialen Problemen und Gegensätzen weiter gegangen sei, man sehr nahe an der Realität war und Herausforderungen gut angenommen worden wären.
Tatsächlich aber fehlte aufgrund der hohen Investitionen in Infrastruktur und Organisation, in einer Zeit der politischen Krise, der staatlichen Rezession, Geld für Gesundheitsausgaben, Bildung und die Finanzierung von Arbeitsplätzen.
Parallel dazu rissen erschreckende Berichte über Menschenrechtsverletzungen nicht ab. Seit 2009 wurden alleine in Rio 22.000 Familien zwangsumgesiedelt, die Polizeigewalt stieg – gemessen an umgekommenen Personen in Folge von Polizeieinsätzen – gerade in den Monaten vor den Spielen stark an. Gesetze wurden kurz vor Start der Spiele geändert, Richtlinien für Versammlungs- und Meinungsfreiheit wurden eingeschränkt, um Proteste im öffentlichen Raum zu verhindern.
Was für die Olympischen Spiele nicht gilt, gilt für die Paralympischen Spiele
Aus sportpolitischer Sicht zu hinterfragen war die Entscheidung des IOC, russische Athlet_innen bei den Spielen antreten zu lassen, wenngleich es nachgewiesene Anzeichen für strukturelles Doping von Seiten des Verbandes gab. Die nationale Anti-Doping-Agentur NADA zeigte sich „maßlos enttäuscht“. Mutiger und beispielgebend agierte hier das Internationale Paralympische Komitee (IPC), das den russischen Verband und somit auch dessen Athlet_innen gänzlich von den Spielen ausschloss.
Allgemein kann man die Paralympischen Spiele als positives Beispiel für Nachhaltigkeit werten. Nicht nur, dass auch sie immer mehr Interessierte vor den Fernseher locken, die Bekanntheit des Events immer größer wird, muss eigens keine Infrastruktur mehr errichtet werden. Mehr noch, als Teilkonzept von öffentlichen Umbaumaßnahmen wurden in Rio U-Bahn- und Busstationen, Sportstätten und neu errichtete Gebäude barrierefrei gestaltet.
Allein Zuschauer_innen braucht es noch vor Ort, denn auch hier hält sich der Ticketansturm vorerst noch in Grenzen.
Nach Rio ist vor Tokio
Die nächsten Olympischen Sommerspiele finden 2020 in Tokio statt. Die Marschroute klingt ähnlich wie vor Rio, wie vor Sotschi, wie vor sämtlichen globalen Sportereignissen der jüngeren Vergangenheit. Japans Premierminister Shinzo Abe: „Unser Motto lautet: höher, weiter, schneller – aber auch sauber und transparent“. Man rechne mit Ausgaben in der Höhe von 13,8 Mrd. Euro, ein Superlativ jagt den nächsten.
Klingt nicht nach den – gut gemeinten, doch kurz gedachten (?) – Visionen von Thomas Bach, der ankündigte, die Spiele künftig „kleiner und sympathischer“ zu machen.
Weitreichende Veränderungen wären ohnehin erst für die noch zu vergebenen Austragungsstätten, für die Olympischen Sommerspiele 2024 und die Winterspiele 2026, möglich. Schon in den Ausschreibungen des IOC wie auch in den Bewerbungen der jeweiligen potentiellen Austragungsorte gilt es genau darauf zu achten, ob und in wie fern menschenrechtliche Aspekte ein Entscheidungskriterium darstellen und wie man gedenke, Spiele auf ein Level zu nivellieren, die sie billiger und vor allem sozial wie auch ökonomisch nachhaltig und verträglich machen. Etwa durch ein Aufteilen der Aktivitäten auf mehrere Städte, wie der Sportjournalist David Goldblatt in seinem Olympia-Fazit gegenüber dem CNN anregte.
So, dass Sportgroßereignisse, wie es der Hohe Kommissar für Menschenrechte wünschte, Vorzeigebeispiele für menschenrechtliche Exzellenz werden und so Menschen inspirieren, auch in der Gesellschaft „mehr zu geben“.
Martin Kainz von fairplay am Wiener Institut für internationalen Dialog und Zusammenarbeit (VIDC) ist Koordinator von Nosso Jogo – Initiative für globales Fair Play.