UEFA erklärt Fanarbeit zum Thema der Zukunft
Vom 1.-2. Februar 2010 tagten über 100 europäische Klub- und Städtevertreter/innen auf Einladung der UEFA in Barcelona. Thema des Seminars: Fanarbeit. UEFA Vize-Präsident Senes Erzik und der Präsident des Gastgebers FC Barcelona, Joan Laporta, ließen in ihren Reden keinen Zweifel daran, dass eine positive, von Dialog und Respekt geprägte Arbeit mit Fans eines der bestimmenden und zukunftsweisenden Themen des internationalen Fußballs ist. FairPlay-Mitarbeiterin Heidi Thaler war als eine von sechs europäischen Fanarbeitsexpert/innen zur Konferenz geladen.
Vor diesem Hintergrund erscheint es umso unverständlicher, dass ausgerechnet jener Verein, der als erster Strukturen sozialer Fanarbeit in Österreich geschaffen und der in Kürze UEFA Sanktionen aufgrund von faschistischen Gebaren und eines Platzsturms einiger weniger Fans zu erwarten hat, nun genau in diesem Bereich einen Rückzieher macht. Denn in Folge der Geschehnisse beim UEFA Europa League Spiel gegen Atheltic Bilbao wurden alle Maßnahmen sozialer Fanarbeit von Austria Wien eingestellt. Das erst im März 2009 eröffnete Fanzentrum wurde geschlossen, die Fanarbeiter/innen Martin Schwarzlantner und Maureen Schorn gekündigt. Zudem wird mit weiteren repressiven Maßnahmen die Fanszene Austria Wien zunehmend unter Druck gesetzt.
Von faschistischen Vorfällen, wie beim Spiel Austria Wien – Athletic Bilbao, nimmt die österreichische Initiative FairPlay. Viele Farben. Ein Spiel. klar Abstand und setzt seit über zwölf Jahren, in Kooperation mit dem ÖFB, der Österreichischen Fußball-Bundesliga, Vereinen, Fußballer/innen und Fans proaktive Maßnahmen dagegen. Dass Vereine auf rassistisches, diskriminierendes und faschistisches Verhalten in ihrem Umfeld reagieren und diesbezüglich Verantwortung übernehmen müssen, war und bleibt ein Credo der bewusstseinsbildenden Arbeit, die FairPlay vertritt. Doch: Jene Aktionen, die die Wiener Austria nun setzt, sind kontraproduktiv und kritisch zu hinterfragen. Mit der Schließung des Fanzentrums und der Kündigung der beiden Fanarbeiter/innen gibt Austria Wien ein Pionierprojekt im österreichischen Fußball auf, das diesen erstmals an europäische Fanarbeits-Standards heranführte.
Solidaritätsbekundungen der Fans
Durch zahlreiche Solidaritätsbekundungen, Stellungnahmen und Kommentare stellt sich ein Großteil der Austria-Fans klar hinter die Arbeit von Martin Schwarzlantner und plädiert für den Erhalt des Fanzentrums. Martin Schwarzlantner arbeitete acht Jahren daran, bei Austria Wien Fanarbeit zu etablieren. Bei Null beginnend war es ihm gelungen, diese auf internationales Fanprojekt-Niveau zu heben. Durchaus kann man auch die Erfolge der Fanarbeit der letzten Jahre erkennen: Mehr Zuschauer/innen, Anstieg der Abos, Stimmung im Stadion, sozialer Auftrag des Vereins.
Soziale Arbeit mit Fußballfans
Soziale Arbeit mit Fußballfans ist eine der wenigen Maßnahmen, die gemeinsam mit den Fans konstruktiv positive Ansätze erarbeitet und jene Mehrheit der Fans weiter stärkt, die Vorfälle wie beim Bilbao-Spiel ablehnen. Sie ist geprägt von gegenseitigem Vertrauen, das langfristig aufgebaut wird und Fankultur in den Mittelpunkt stellt. Das alles kann nicht innerhalb von wenigen Monaten erreicht werden. Es besteht die Wichtigkeit eines Gemeinschaftraumes, wie dem Fanzentrum, wo es möglich ist, sich der (Alltags-) Probleme der Fans anzunehmen und Kontakt zu einem breiteren Publikum der Fans aufzubauen.
Wieso wird also die einzige Maßnahme gestrichen, die versucht partnerschaftlich mit den Fans zu arbeiten?
Mit dieser Handlung beweist der Klub keine Weitsicht und scheint das Konzept sozialer Arbeit mit Fußballfans nicht verstanden zu haben. Die Schließung des Fanzentrums trifft nicht diejenigen, die für die Vorfälle gegen Bilbao verantwortlich sind. Betroffen sind aber jene Jugendlichen, v.a. Schüler/innen, die von Fanarbeit profitierten und für die das Fanzentrum als wichtiger Ort der Kommunikation, Beratung, Betreuung, Gemeinschaft und Vorbereitungen sowie sinnvoller Freizeitaktivitäten nun nicht mehr existiert.
Jugendarbeit wird nicht eingestellt, wenn es z.B. im Bezirk zu Reibereien kommt. Im Gegenteil, der Ruf nach Jugendarbeit wird gerade dann laut, wenn es Probleme gibt. Gleiches muss auch für Fanarbeit gelten.
Gerade jetzt wäre es wichtig, an diesem Konzept festzuhalten und den Großteil der Fans und Jugendlichen zu stärken, die auch in Zukunft auf der Osttribüne des Horrstadions zu finden sind und ein Gegengewicht zu faschistischen, destruktiven Strömungen darstellen können.
Die vorschnellen Konsequenzen gegenüber der Fanarbeit sprechen dafür, dass diese bei der Austria im Grunde nur eine Alibifunktion hatte. Sie sind aber keinesfalls die Lösung des Problems.
Konzept der Repression gescheitert
Seit Jahren wird in Österreich im Umgang mit Fußballfans fast ausschließlich auf Repression, Strafen, moralische Entrüstung und kollektive Verurteilung gesetzt. Die Erfolge dieser Strategie bleiben bislang aus – trotzdem werden weiterhin Unsummen in veraltete Maßnahmen gesteckt, die zu keinerlei Verbesserungen geführt haben. Es ist höchste Zeit, ernsthaft und vorurteilsfrei den Dialog und die respektvolle Zusammenarbeit mit den Fans zu suchen, anstatt realitätsfremde Verallgemeinerungen vom gewalttätigen, rechtsradikalen Chaoten aufrecht zu erhalten. Hier gilt es auch zu hinterfragen, wem ein solches negatives Fanbild nützt, und wer daher an der Aufrechterhaltung dessen aktiv mitwirkt.
FairPlay setzt sich seit Jahren für ein realitätsgetreues Fanbild und eine positive Fanarbeit in Österreich ein. Der Aufbau einer fanorientierten, respektvollen und unabhängigen Fanarbeit wird vom österreichischen Sportministerium und der UEFA auch finanziell unterstützt. Das Fanzentrum bei Austria Wien und die Arbeit von Martin Schwarzlantner, der während der UEFA EURO 2008 die Fanbotschaft in Wien leitete, waren hierfür sowohl in der Fanarbeit als auch im Bereich Antirassismus, wichtige Eckpfeiler. Dass nun die Arbeit der letzten Jahre durch kurzsichtige Entscheidungen zunichte gemacht wird, ist für FairPlay und internationale ExpertInnen unverständlich und kontraproduktiv.
Heidi Thaler, Projektleiterin Fanarbeit FairPlay:
„Austria Wien war stets ein Vorreiter im Bereich Fanarbeit, stellte mit Martin Schwarzlantner den ersten fachlich qualifizierten Fanarbeiter ein und initiierte das erste Fanzentrum Österreichs. Leider scheint es nun so, als ob das Fanzentrum als Druckmittel gegen die eigenen Fans und Mitarbeiter benutzt wurde. Die eigenen Fans zudem nicht als mündige, verantwortungsvolle Personen wahrzunehmen, sondern sie „abzumahnen“ und kollektiv zu „bestrafen“ zeugt von Mangel an Dialogfähigkeit und vom dringenden Bedarf an der Fortsetzung der begonnenen Fanarbeit.“
Michael Gabriel, Koordinator der 44 deutschen Fanprojekte (KOS):
„Diese Entscheidung deutet auf eine große Hilflosigkeit hin. Meines Erachtens zeigt sich an diesem Fall mehreres: Wenn ein Fanprojekt sinnvoll und kontinuierlich in diesem absoluten Spannungsfeld (Verein, Sicherheit, Medien, Fans) soziale Arbeit mit Fußballfans machen will, dann geht dies nur, wenn es unabhängig arbeiten kann. Fanprojekte machen soziale Arbeit mit Jugendlichen, d.h. jeder Fan, der sich schulisch, beruflich und persönlich mit Hilfe einer engagierten Fanarbeit weiterentwickelt, ist ein Erfolg der Arbeit, die sich nicht an etwaigen Ausschreitungen orientiert.
Unerlässlich ist weiterhin, dass der Verein die Arbeit und das Konzept verstehen, sich für die Entwicklung in der Fanszene interessieren, sich bei Rassismus, Rechtsextremismus, Diskriminierungen einbringen und selbst einen transparenten, zuverlässigen und offenen Dialog mit der Fanszene eingehen muss.“
David Zimmermann, Mitbegründer von Fanarbeit Schweiz:
„Sozioprofessionelle Fanarbeit ist in hohem Mass Kommunikationsarbeit. Einstellen von Fanarbeit heißt demzufolge auch Einstellen von einem wichtigen Teil der Kommunikation. Und das ist in einer Situation wie dieser verheerend. Gewalt akzentuiert sich oft da, wo Kommunikation nicht mehr gepflegt, respektive verweigert wird. Die hohle, leider aber oft gebrachte Phrase „Jetzt hilft keine Kommunikation mehr“, entbehrt also jeglicher Grundlage. Im Gegenteil! Das Einstellen von Kommunikation wirkt eher wie Öl ins Feuer der Eskalation.“
Daniela Wurbs, Koordinatorin Football Supporters Europe (FSE):
„In allen Ländern Europas, in denen es professionelle Fanarbeit in Fanprojekten gibt, haben wir als FSE festgestellt, dass nur dann sichtbare Ergebnisse und klare Erfolge erzielt werden konnten, wenn der langfristig angelegte und dialogorientierte Ansatz und die Unabhängigkeit der Fanarbeit von ordnungspolitischen Aufgaben und Sanktionierungsformen von allen Beteiligten absolut anerkannt wird. Fanarbeit muss als Alternative zu einseitig repressiven Maßnahmenstrategien wertgeschätzt werden.
Die Schließung des Fanzentrums von Austria Wien betrachten wir daher als großen Rückschritt. Diese Ansicht vertreten im Übrigen auch Institutionen wie der Europarat oder die UEFA, die sich dabei ebenfalls auf wissenschaftliche Erkenntnisse zur Bedeutung und Anerkennung der Fanarbeit als zentrale Schnittstelle für nachhaltig angelegte Prävention und Reduktion von Problemen im Fußball berufen.“