Kein Blöder Spruch mehr

Letzten Mittwoch las Almut Sülzle aus ihrem Buch „Fußball, Frauen, Männlichkeiten“ und anschließend wurde über Sexismus und Gegenstrategien in den Fanszenen diskutiert.

Wien sei für sie die Hauptstadt der Fußballforschung, meint Almut Sülzle. Zumindest im deutschsprachigen Raum und in Bezug auf eine Forschung, die aus feministischer Perspektive „annehmbar“ ist. Man könne ihrer Meinung nach sogar von einer „Wiener Schule“ in diesem Zusammenhang sprechen. Ein Grund, der die deutsche Ethnologin und Kulturwissenschaftlerin immer wieder in diese Stadt führt, diesmal zur von FairPlay-VIDC organisierten Ausstellung und Veranstaltungsreihe „Am Rasen sind wir alle gleich?!? – Homophobie und Diskriminierung im Fußball“. In diesem Rahmen stellte Sülzle am 17. Oktober 2012 in der Bücherei Philadelphiabrücke ihr neues Buch „Fußball, Frauen, Männlichkeiten. Eine ethnographische Studie im Fanblock“ vor und las gemeinsam mit der Lektorin Petra Schäfter daraus.

Homophobie und Sexismus


Neben ihrer aktuellen Forschungsarbeit gebe es in Almut Sülzles Biographie noch einige andere Berührungspunkte mit dem Thema Fußball, so die einleitenden Worte der Veranstalterin Nikola Staritz von FairPlay. Zum Beispiel das Gutachten über Prostitution und Fußball im Kontext der EM 2012, das Sülzle für die UEFA verfasst hatte sowie ihre Mitgliedschaft im Netzwerk F_IN (Frauen im Fußball).
Warum sie eigentlich eingeladen wurde, fragte Almut Sülzle mit einem neugierigen Blick Richtung Veranstalter_innen – in ihrer Arbeit gehe es weder explizit um Homosexualität noch um Homophobie, sondern um Männlichkeiten. Im Endeffekt waren sich Sülzle und Staritz einig, dass in der Antidiskriminierungsarbeit im Fußball das Thema Sexismus und Homophobie zusammen gedacht werden müssen.
Almut Sülzle hatte noch viele andere Fragen an das Publikum, sie wollte schließlich wissen, wer ihr Gegenüber ist. „Wer von euch geht regelmäßig ins Stadion?“ Viele Hände schnellten in die Höhe. „Wer geht zum Frauenfußball ins Stadion?“ Nicht ganz so viele Hände. Sülzle lachte. „Wer von euch war schon mal in einem Seminar zu Geschlechterforschung?“ Wieder viele Hände. Die Resultate ließen vermuten: im Publikum gab es so einige Fußball-Fans!

Widersprüche?


Ob Sülzle mittlerweile Fanin ist, verriet sie nicht. Sie sei jedenfalls als Geschlechterforscherin „ins Feld“ – also in den Fanblock – gegangen und musste zugleich einige Vorannahmen revidieren: denn nicht nur ist der Fanblock eine in jeglicher Hinsicht sehr diverse Gruppe, auch der Frauenanteil ist mit 30% nicht gerade klein. In ihrer zweieinhalb Jahre dauernden Feldforschung ging die Kulturwissenschaftlerin der Frage nach, wie ein platter Sexismus (zb. Aufnäher wie „Fussball, Bier und geile Weiber“) trotz hoher Zahl an Frauen sowie deren selbstbewusstem Auftreten überleben könne und wie die Faninnen wiederum mit diesem umgehen.

Retro-Männlichkeiten


Im Fußball werden Frauen nur selten als echte Fans akzeptiert. Sie kämen nur wegen der Männer ins Stadion, heißt es oft, entweder wegen ihrem Freund oder wegen den Fußballspielern. Der Fanblock ist Reservat der „echten Männer“, ein Ort, an dem archaische oder – wie Sülzle es nennt – „Retro-Männlichkeiten“ gelebt werden. Das sei nicht nur Fremd-, sondern auch Selbstbild, viele Männer sind sich der Inszenierung dieser Männlichkeiten bewusst. Sexismen sind darin fester Bestandteil. Ein Bestandteil, den Frauen oft akzeptieren, wie Sülzles Forschung zeigte. Und doch werden auch immer wieder Wege gefunden, Sexismen zu thematisieren und Frauen im Stadion „sichtbar“ zu machen.

„Da fangen sie fast an zu denken“


Eine dieser Frauen ist Yvonne, deren Geschichte im Rahmen der (dramaturgisch sehr gelungenen) Lesung erzählt wurde. Yvonne ist selbstbewusst, sie fühlt sich gleichberechtigt im Stadion. Sie lernte Sülzle bei einer Veranstaltung des Netzwerkes F_In kennen und hatte die Wissenschaftlerin dafür kritisiert, das Thema Frauenfeindlichkeit und Sexismus zu ernst zu nehmen und damit die Selbstverständlichkeit, mit der Frauen im Stadion sind, nicht zu sehen. Dennoch scheint auch Yvonne das Thema zu beschäftigen, sonst wäre sie wohl nicht Mitglied der Frauen-Fangruppe „Titten auswärts“, die durch ihre provokanten Aktionen Aufmerksamkeit auf ihre Präsenz als Frauen im Stadion ziehen. Schon allein bei so einem Namen bleibt Männern die Spucke weg, weil „da kommt kein blöder Spruch mehr, weil da fällt ihnen nichts Blöderes ein und dann fangen sie schon fast an zu denken“, so Yvonne.

Fragen aus der Antidiskriminierungsarbeit


„Es ist immer schwierig, etwas zu sagen, wenn Yvonne gesprochen hat. Die sagt eigentlich schon alles“, kommentierte Sülzle nach der Buchvorstellung die eintretende Stille. Doch schnell entwickelte sich eine spannende Diskussion mit dem Publikum. Präsent war v.a. die Frage, welche Rolle der Kampf gegen Sexismus und Homophobie in der Antidiskriminierungsarbeit im Fußball einnimmt und wie dieser im Verhältnis zur Bekämpfung von Rassismen steht. Dabei zeigten sowohl die Erfahrungen von Almut Sülzle als auch die der anderen Anwesenden – von denen viele in eben diesem Bereich tätig sind –, dass Antirassismusarbeit den Themen Sexismus und Homophobie oft vorangestellt wird. Das Fehlen an Auseinandersetzung und Strategien gegen die Ausgrenzung von Frauen – nicht im Sinne einer physischen Ausgrenzung, aber verstanden als Nicht-Infragestellung von Männlichkeit als Norm auf dem Rasen, den Tribünen und in den Vereinsstrukturen – legt auch den Schluss nahe, dass Sexismus den Fußballkulturen so tief eingeschrieben ist, dass er nur durch ständige Kritik und Selbstreflektion wegzubekommen ist. Kleine Anfänge gibt es, wie Beispiele aus dem Publikum von Wacker Innsbruck Fans und den Freund_innen der Friedhofstribüne (Fans des WSK) zeigten. Wie und ob sie erfolgreich sind, wird die Zukunft weisen.

Den Abend rundete ein Glas Wein und ein Blick auf die Ausstellung „Against the Rules. Lesbians and Gays in Sport“ ab, beides ebenfalls in der Bücherei Philadelphiabrücke. Die Ausstellung ist dort noch bis zum 25. Oktober zu sehen.


[Veronika Siegl]

https://www.fairplay.or.at/footer/archiv/kein-bloeder-spruch-mehr#top