The games must go on - Afrika Cup 2022
Die traumatischen Ereignisse vor dem Stade d’Olmebé am Montag stecken mir noch in den Knochen. Der Abschied aus der Hauptstadt Yaoundé fällt mir daher alles anderes als schwer. Ob ich noch rechtzeitig zum Achtelfinale zwischen Côte d’Ivoire und Ägypten nach Douala komme, ist eine Challenge. Mit Bus, Taxi und dem obligatorischen Motorrad, schaffe ich es trotz Stau zum Stade Japoma. Doch schon beim ersten Zugangscheck beginnen die Schwierigkeiten. Mein Koffer dürfe nicht mit ins Stadion, erklärt mir ein junger Polizist. Sein Vorgesetzter meint, ich könne ja in ein Hotel in der Nähe einchecken und dort das Gepäck lassen. Das ist 25 Minute vor Anpfiff allerdings keine Option. Commissaire Bawak Nso-Ako bietet mir schließlich an, den Koffer in seinem Polizeiauto zu lassen, um ihn nach Spielende wieder abzuholen. Wir tauschen Telefonnummern und unterhalten uns kurz über den Wechsel von David Alaba zu Real.
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Beim nächsten Sicherheitscheck macht mir eine resolute Gendarmin klar, dass auch mein kleiner Rucksack draußen bleiben muss. Beteuerungen, dass ich als akkreditierter Journalist meinen Laptop brauche, fruchten wenig. Als Kompromiss muss ich gefährliche Gegenstände zurücklassen: Das sind nicht nur ein Feuerzeug und eine Wasserflasche, sondern seltsamerweise auch ein Handdesinfektionsmittel, Zigaretten und eine Orange. Weiter vorne bei den Drehkreuzen ist dann aber keine Einigung mehr zu erzielen, der Ordner ist unerbittlich. Ich muss wieder zurück und dann zum Eingang für die VIPs.
SIEG DER STATISTIK
Mit nur 10 Minuten Verspätung nehme ich hoch oben auf der vollgepackten Pressetribüne schweißüberströmt Platz. Sofort wird klar, für wen die Fanherzen der Kameruner im Stadion schlagen: für Ägypten! Wenn Liverpool-Superstar Mo Salah zu Dribblings ansetzt, braust Jubel auf. Im Netz gibt es Videos, die Kameruner beim Erlernen der ägyptischen Nationalhymne zeigen.
Das Stadion mit einer Kapazität von rund 50.000 Plätzen ist an diesem schwülen Spätnachmittag zu einem guten Drittel gefüllt. Die, die dort sind, entfalten aber eine erstaunliche Soundkulisse aus Brassbands im Dauermodus und Vuvuzelas. Die Stimmung ist gut, außer den Beileidsbekundungen, die auf den Werbebanden immer wieder eingeblendet werden, erinnert wenig an das unfassbare Unglück von vor zwei Tagen.
Afrika-Cup-Rekordmeister Ägypten hat in der ersten Halbzeit mehr vom Spiel. Stuttgarts Omar Marmoush knallt den Ball in der 15.Minute an die Latte, zweimal kann Keeper Badra Ali Sangara Abschlüsse von Mo Salah übers Tor lenken. Die Ivorer melden sich kurz vor der Pause mit einem spektakulären Seitfallzieher von Ibrahim Sangaré (PSV Eindhoven) zurück. Ägypten gelangen in der Vorrunde nur zwei Tore, nach einer Niederlage gegen Nigeria belegte die Mannschaft in der Gruppe Platz zwei. Der zweifache Afrika-Cup-Sieger Côte d’Ivoire ging hingegen als Gruppensieger in die Partie, nachdem Turnierfavorit Algerien 3:1 geschlagen wurde.
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— ZamalekGoals (@ZamalekGoals) January 26, 2022
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Nach der Pause forciert Côte d‘Ivoire das Tempo. Doch der ivorische Angriff bleibt harmlos. Ajax-Stürmer Sébastien Haller wirke phasenweise wie ein Fremdkörper. Die Missverständnisse mit seinen Nebenspielern sind augenscheinlich. Die Ägypter unter dem portugiesischen Trainer Carlos Queiroz machen, was sie immer schon gut konnten, sie verschleppen das Spiel. Nach langen 120 Minuten steht es immer noch 0:0. In der Geschichte des Bewerbs standen sich die beiden Teams bereits zweimal im Elferschießen gegenüber, zweimal gingen die Ägypter als Sieger vom Platz. Und es kommt, wie es kommen muss. Manchester-United-Verteidiger Eric Bailly, heute einer der besten auf dem holprigen Rasen des Stade Japoma, vergibt seinen Versuch, Mo Salah behält als letzter Schütze die Nerven und verwandelt routiniert. Côte d‘Ivoire, Gastgeber des Afrika-Cups 2023, muss sich nach dem Aus in der WM-Qualifikation im November nun auch hier verabschieden.
Auf dem Weg zum Commissaire begleiten mich Salah-Sprechchöre und Verbrüderungsgesten zwischen Kamerunern und Ägyptern. Die hunderte angereisten Fans aus Ägypten werden im Eiltempo zum Flughafen gebracht. Die Buskolone wird von der Limousine des ägyptischen Botschafters angeführt und von heulenden Polizeiautos und Militärgefährten eskortiert. Nach ein wenig Herumfragen finde ich auch Commissaire Bawak und bekomme meinen Koffer. Auch die Orange, Zigaretten und Co. sind noch dort.
SCHWIERIGE PROGNOSEN
Ägypten trifft im Viertelfinale am Sonntag auf die stark aufspielenden Marokkaner. Ursprünglich hätte im Stade d’Olembé in Yaoundé gespielt werden sollen, aufgrund des Unglücks wird nun auf das kleinere und schon in die Jahre gekommene Ahmadou-Ahidjo-Stadion in Yaoundé ausgewichen. Überhaupt wurde nach der zweiten Runde einiges durcheinander geworfen: Aufgrund des arg ramponierten Stadionrasens in der wirtschaftlichen Hauptstadt Douala findet dort nur mehr ein Viertelfinale statt. Am Samstag trifft Gastgeber Kamerun auf das Überraschungsteam dieses Afrika-Cups, Gambia. Das Viertfinale Senegal gegen Äquatorialguinea am Sonntag wurde von der CAF kurzfristig ebenfalls in das Ahidjo-Stadion verlegt. Garoua, die an der Grenze zu Nigeria und Tschad im Norden liegende Stadt, bleibt Austragungsort für die Begegnung Burkina Faso gegen Tunesien.
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Aus sportlicher Sicht ist der 33. Afrika-Cup bisher eine Wundertüte! Der vierfache Champion Ghana musste erstmal in der Geschichte des Bewerbs ohne Sieg abreisen. Auch Algerien,der Titelverteidiger, der seit 2018 kein Spiel mehr verloren und schon den rekord Italiens mit 37 ungeschlagenen Partien vor Augen hatte, ging in Kamerun unter.
Wer am 6. Februar - der Spielort ist noch unbekannt - den Cup in der Hand halten wird, ist auch eine Frage der Psyche. Aufgrund der strengen Coronaschutzmaßnahmen werden besonders die größeren Teams hermetisch abschottet. Der Afrika-Cup dauert vier Wochen, hinzu kommt die Vorbereitung, das ist eine sehr lange Zeit im Ausnahmezustand.
Auf dem Papier ist wie schon in Ägypten 2019 Senegal der Topfavorit. In der Vorrunde gelang dem Team allerdings nur ein einziger Treffer. Die große Frage ist, wann die individuell hochbegabten Spieler wie Sadio Mané, Kalidou Koulibaly und Idrissa Gueye als Team zusammenfinden. Immerhin hat die Mannschaft aber im laufenden Turnier noch keinen Treffer zugelassen, und mit Édouard Mendy vom Chelsea FC steht der frischgekürte Welttormann zwischen den Pfosten. Beim ersten Afrika-Cup seit 50 Jahren im eigenen Land wird von Kamerun nichts weniger als der sechste Titel gefordert. Auch wenn Gambia keine Hürde darstellen sollte, der mögliche Halbfinalgegner Marokko wäre es bestimmt. Dort legt Trainer Vahid Halilhodzic, der den Chelsea-Angreifer Hakim Ziyech erst gar nicht einberief, viel Wert auf das Teamgefüge. Das scheint bisher aufzugehen. Zudem spielt Achraf Hakimi von Paris Saint-Germain groß auf und erzielte auch zwei schöne Freistoßtreffer. Ein Finale zwischen Marokko und Senegal wäre daher eine naheliegende Variante, aber was ist bei diesem Afrika-Cup schon naheliegend?
Douala, 28. Jänner 2021, Kurt Wachter
Mehr über die Geschichte des Afrika-Cup gibt es auch hier: Schwerpunkt von 2019.
Mehr von Kurt Wachter über die diesjährige Auflage gibt es bald online und in ballesterer 169.
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