Nigeria hat Titelverteidiger Kamerun in einem packenden Achtelfinale aus dem Bewerb geworfen. Die Zukunft von Clarence Seedorf ist daher mehr als ungewiss. Nigerias Coach Gernot Rohr dagegen will Alexandria gar nicht mehr verlassen, auch wegen des angenehmen Klimas, dem kann fairplay-Projektkoordinator Kurt Wachter nur zustimmen, der Stadt und Stadion positiv erlebt.
Schon vor dem Turnier war mir klar, dass ich unbedingt Spiele in Alexandria besuchen möchte. Beim Austeigen aus dem Journalisten-Shuttlebus empfindet man die 31 Grad als wohltuend, die Millionenstadt mit seinen schönen Art-Deco Kaffehäusern und der weitläufigen Uferpromenade bildet einen angenehmen Kontrapunkt zur Megacity Kairo. Kaum Hektik beim Einlass ins Stadion, der winzige Medienbereich ist zwar heillos überfüllt, aber alle sind gut drauf. Das Stadion selbst ist mitten in einem Wohngebiet und wurde 1929 im neoklassischen Stil erbaut, es ist somit das älteste Stadion im Land. An einem Ende befindet sich ein römisch anmutender Triumphbogen, auf der anderen Seite sind noch offenbar antike Mauern zu sehen. Auch die Stimmung passt, die 20.000 Zuschauer_innen fassende Arena ist nicht ganz zur Hälfte gefüllt, was für diesen Afrika-Cup viel ist. Links sind die grün-weißen Nigeria-Supporters und rechts davon befindet sich der weniger lautstarke Kamerun-Block.
Was folgt ist ein packender Fünf-Tore-Thriller zwischen den afrikanischen Fußballgiganten Kamerun und Nigeria. Ein rundum positives Erlebnis, so soll Afrika-Cup sein. Nach dem Schlusspfiff im altehrwürdigen Stadion von Alexandria feiern die nigerianischen Spieler ausgelassen ihr 3:2 gegen Kamerun, mitten unter ihnen die früheren „Super Eagles“ Nwankwo Kanu und Daniel Amokachie. Im Gegensatz dazu zwei Legenden aus der gleichen Spielergeneration: Clarence Seedorf und Patrick Kluivert, die die Jubelszenen mit gesenktem Kopf beobachten. Die beiden haben Kamerun im August 2018 als Trainerteam übernommen. Ihre Jobaussichten, den Gewinner des Afrika-Cups 2017 auch beim Heimturnier in zwei Jahren zu betreuen, sind denkbar schlecht.
Später bei der Pressekonferenz sagt Seedorf: "Ich habe jede Minute genossen, in der ich mit diesem Team gearbeitet habe. In Afrika zu sein, ist etwas Besonderes und für die Zukunft werden wir sehen, was kommt." Das klang schon nach Abschied, obwohl der 43-Jährige einen Vierjahresvertrag unterschrieben hat, doch das zählt im afrikanischen Fußball nach einer so frühen Niederlage wenig. "Wir haben uns auf und neben dem Platz in vielerlei Hinsicht verbessert, es wäre schade, wenn die gute Arbeit des Teams jetzt weggeworfen würde", verteidigt Seedorf seine Leistung. Für Seedorf ist dies bereits die längste Amtszeit als Chefcoach, davor gab es nur kurze Gastspiele beim AC Milan, Shenzhen FC und Deportivo La Coruna.
Spiel gedreht und verloren
Für Kamerun sah es zur Pause noch glänzend aus, durch Tore von Angers-Angreifer Stephane Bahoken (41.) und Clinton N’jie von Olympique Marseille (44.) konnte man die nigerianische Führung durch Angreifer Odion Ighalo (19.) drehen. Doch in der zweiten Hälfte bekam die kamerunische Verteidigung weder den großartigen Ighalo noch den hinter ihm spielenden FC Arsenal-Spieler Alex Iwobi, die jeweils trafen, richtig in den Griff. Kameruns Kapitän Eric Maxim Choupo-Moting und der Mainzer Pierre Kunde Malong gehörten noch zu den besten Akteuren und versuchten, ein geordnetes Spiel nach vorne zu forcieren.
Gegen so einen Gegner wie Nigeria zu verlieren, ist keine Schande, diese Begegnung war bislang dreimal ident mit der Finalpaarung des Afrika-Cups. Besonders die ungerechtfertigte Niederlage Nigerias in Lagos beim Turnier im Jahr 2000 habe ich noch in lebhafter Erinnerung. An diesem lauen Samstagabend in Alexandria hatte Nigeria das Glück auf seiner Seite.
Der immer zuvorkommende Trainer Nigerias, Gernot Rohr, umarmte am Ende der gemeinsamen Pressekonferenz Seedorf und stellte fest, dass "für ein gutes Fußballspiel immer zwei gute Teams nötig sind". Der Deutsch-Franzose gilt als erfahrener Trainer, so coachte er zuvor schon Gabun, Niger und Burkina Faso. Am Mittwoch im Viertelfinale in Kairo bekommt es seine Mannschaft mit dem Überraschungsteam aus Südafrika zu tun. Das Team bleibt noch zwei Tage in Alexandria: „Wir mögen das Klima und die Trainingsplätze sind gut, die Menschen sind nett. Wir werden erst zum letztmöglichen Zeitpunkt nach Kairo reisen.“
Turnierende für Gastgeber Ägypten
Dem kommenden Gegner Nigerias gelang am Samstagabend die bisher größte Turnierüberraschung. Es verabschiedete sich nämlich nicht nur der Titelverteidiger. Auch die hochfavorisierten Ägypter wurden vom Gruppendritten Südafrika mit 0:1 aus dem Turnier geworfen. Und das gar nicht unverdient. Südafrika war defensiv sehr diszipliniert und kombinierte schnell nach vorne, aus einem Konter entstand auch das Tor in der 85. Minute durch Thembinkosi Lorch. Auch Superstar Mo Salah, der aufgrund einer Erkältung nicht ganz fit war, konnte an diesem Abend seinem Team nicht helfen. Er stand nach Spielende mit Tränen am Rasen des Cairo International Stadium, das mit 75.000 Fans restlos gefüllt war.
Ich erlebte den Turnierabschied der „Pharaonen“ in einem Straßencafé in Alexandria. In den Gassen der Altstadt waren überall TV-Geräte aufgestellt, es hatte den Anschein, dass ganz Alexandria, zumindest die Männer, das Match in Kairo verfolgten. Zu meiner Überraschung war die Reaktion nach dem Ausschieden sehr zurückhaltend. Fanherzen mögen gebrochen sein, doch nach außen sind die Emotionen kaum sichtbar. Die Sessel und Fernseher wurden wieder weggeräumt, das Leben geht weiter. Aber es gibt auch andere Stimmen: ein Sportreporter von „Ahram Online“, eines staatlichen Webdienstes, ging mit seinen Landsleuten hart ins Gericht und schrieb sexistische kommentierend von einer „frauenhaften Leistung“.
Fakt ist, dass noch nie ein ägyptisches Team im eigenen Land so früh rausgeflogen ist. Ägypten gewann den Afrika-Cup als Gastgeber 1959, 1986 und 2006, im Jahr 1974 verlor man das Semifinale. Die drei Siege in einer schwachen Gruppe mit DR Kongo, Zimbabwe und Angola waren offensichtlich kein Gradmesser.
Nachdem sich die Marokko, Ägypten und Kamerun verabschiedet haben, verkleinert sich der Kreis der Favoriten, einer davon ist traditionell Ghana, die spielen am Dienstag in Ismailia, der Stadt am Suezkanal, gegen Tunesien. Für mich heißt es daher, Alexandria bald zu verlassen und die sechsstündige Busfahrt nach Ismailia zu organisieren.
Kurt Wachter ist für die fairplay Initiative und für den ballesterer beim Afrika Cup unterwegs. Ägypten 2019 ist der mittlerweile siebte Afrika Cup, den er journalistisch begleitet. Er wird bis zum Halbfinale über das Geschehen im Stadion, aber vor allem abseits davon berichten. Diese Berichterstattung ist Teil des fairplay-Projektes "Sport für Entwicklung", das maßgeblich von der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit gefördert wird.