Der Cup vor dem Finale: Überraschung Madagaskar und Sadio Manés Traum

Der 32. Afrika-Cup bekommt mit Senegal vs. Algerien ein würdiges Finale. Somit könnte der Pokal erstmals nach Senegal gehen, ein „absoluter Traum“ für Sadio Mané, der dafür sogar seinen Champions League Titel mit Liverpool eintauschen würde. Die beiden Teams kennen sich bereits aus der Gruppenphase, da hatte Algerien mit 1:0 die Oberhand über die Westafrikaner. Im dritten Teil seines Blogs lässt fairplay-Projektkoordinator und ballesterer-Korrespondent Kurt Wachter die vergangenen Tage in Ismailia und Kairo Revue passieren.

„Merci Barea, merci Barea“ tönt es von hunderten Fans trotz der 0:3 Niederlage gegen Tunesien. „Barea“ ist der Spitzname des Teams aus Madagaskar, benannt nach einem lokalen Buckelrind. Dann nimmt die Mannschaft vor dem Sektor Aufstellung und stimmt den isländischen „Hú“-Chant an. Die Ausführung ist nicht ganz so perfekt wie bei den Isländern, die wie Madagaskar bei ihrem ersten großen Turnier, der EURO 2016, sensationell ins Viertelfinale vorgedrungen ist. Doch wer hätte überhaupt gedacht, dass es für den Newcomer überhaupt was zu feiern gibt?

Anfang 2017 lag Madagaskar im FIFA-Ranking auf Platz 135, um überhaupt an der Qualifikation für den Afrika-Cup teilnehmen zu können, mussten man zuerst zu einer Vorausscheidung gegen Sao Tome e Principe antreten. Was dann in Ägypten folgte, war beispiellos: Nach einem 2:0 gegen Nigeria wurde Madagaskar Gruppensieger, danach folgte im Achtelfinale der Aufstieg gegen die Favoriten Kongo-Kinshasa. Und das alles mit Spielern, die sich ihr Geld in Reunion, Thailand oder Saudi-Arabien - zumeist aber bei unterklassigen Vereinen der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich - verdienen. Gegen die gut organisierten Tunesier geht das unglaubliche Fußball-Märchen im Al Salam Stadion von Kairo nun zu Ende.

"Sie zahlen für nichts"

Obwohl in Kairo gelegen, gestaltet sich die Anreise in das außerhalb des Zentrums gelegene Al Salam Stadion als anspruchsvoll. Es gilt eine 35 km lange Taxifahrt während der abendlichen Rushhour in der Megacity Kairo zu organisieren. Ich habe das Glück, einen englischsprachigen Taxifahrer zu erwischen, der muss sich zwar fünfmal nach dem Weg erkundigen, genießt aber offensichtlich die Konversation mit mir. Ali bewundert die Deutschen und die deutsche Automobilindustrie und hat nicht viel übrig für die Militärregierung unter Präsident al-Sisi: „Vor der Revolution war es schlecht, aber nach 2011 wurde es noch schlimmer.“ Schon lange vor der Ankunft beim Stadion, das eigentlich Military Production Stadium heißt, deutet Ali auf die hohen Mauern, an denen wir vorbeifahren: „Das gehört alles dem Militär.“ Und das behagt dem Taxler offenbar gar nicht: „Sie zahlen für nichts, weder für Strom noch für Wasser, wir müssen das bezahlen!“ Nach eineinhalb Stunden Fahrt haben wir unser Ziel endlich erreicht und ich bezahle den vereinbarten Fahrpreis von 150 ägyptischen Pfund, umgerechnet 8,50 €. Vom ersten Sicherheitscheck sind es nochmal 20 Minuten zu Fuß bis zum Stadion – vorbei an gepanzerten Fahrzeugen und Spalier stehenden Polizisten.

Da die Pressetribüne überfüllt ist, wird mir und den anderen Journalist_innen als Alternative ein staubiger Sitzplatz direkt neben dem Madagaskar-Sektor zugewiesen. Zu meiner Überraschung ist dort plötzlich fotografieren erlaubt. Bei den Spielen davor wurde darüber gewacht, dass niemand der schreibenden Zunft auch nur das Handy zückt.

Besonders penibel mit der Überwachung waren die Volontäre auf der Pressetribüne in Ismailia. Was den gechillten Eindruck der mit 400.000 Einwohner_innen kleinsten Host City am Sueskanal aber nur leicht trübte. Im Achtelfinale behielt Tunesien erstmals in der 62jährigen Geschichte des Bewerbs gegen Ghana die Oberhand. Ein Fersler-Tor von Andre Ayew wurde zu Unrecht wegen Handspiels aberkannt. Da der Videoreferee erst mit den Viertelfinalspielen eingesetzt wird, blieb eine Korrektur aus. Schon wieder mussten die Black Stars nach einem Elferschießen die Koffer packen. Vermutlich wurden bei Asamoah Gyan & Co traumatische Erinnerungen an die WM 2010 oder das Finale 2015 in Äquatorialguinea wach.

Kehrtwendung, Niederlage und Rücktritte

Mit einem Minibus geht es von Ismailia zurück in die Megacity Kairo, dort stehen Interviews an. Zuerst mit einer lebende Ikone des ägyptischen Fußballs, Magdy Abdel Ghany, den hier jeder nur als Abdelghani kennt. Als Spieler wurde ihm die Ehre zuteil, bei der WM 1990 in Italien ein Tor für Ägypten zu erzielen. Da sich Ägypten in der Folge nie mehr qualifizierte, blieb sein verwandelter Penalty gegen die Niederlande für 28 lange Jahre das einzige WM-Tor. Erst mit den beiden Salah-Toren bei der WM in Russland wurde der Mythos gebrochen.

Abdelghani empfängt mich im engen Büro der Egyptian Professional Footballersí Association, deren Präsident er auch ist. Er sitzt mit dicker Havanna in der Hand hinter seinem großen Schreibtisch, auf dem sich Fußball-Memorablia aus mehreren Jahrzehnten türmen. Hinter ihm hängt ein Foto mit Machthaber Abdel Fattah al-Sisi. Am liebsten würde er nur über die fünf kontinentalen Titel mit dem legendären Kairoer Klub Al-Ahly und seine glanzvolle Auslandskarriere bei Beira-Mar in Portugal sprechen. Angesprochen auf das schmachvolle Ausscheiden Ägyptens gegen Südafrika im Achtelfinale sagt Abdelghani:
„Das ist Fußball, nehmen wir Brasilien, als wir klein waren, haben wir zu Brasilien aufgeschaut und doch wurden sie bei der WM im eigenen Land eliminiert.“
Abdelghani, der auch im Vorstand der Egyptian Football Association (EFA) sitzt, musste nach der Niederlage gegen Südafrika, so wie andere Funktionäre, seinen Rücktritt bekannt geben. Für viele ist dies aber nur ein Manöver, um den Volkszorn zu besänftigen. Als Grund für das Ausscheiden nennt er als grundlegendes Problem:
„Wir wussten, dass wir keine Mannschaft haben, um das Turnier hier zu gewinnen, aber wir haben es mit Psychologie versucht, wir sagten ‘wir haben eine gute Mannschaft, wir haben Mohammed Salah‘.“ Abdelghani ergänzt: „Wir haben in den drei Gruppenspielen nicht gut gespielt, obwohl wir gewonnen haben, so ist es in der Ko-Phase leider nicht weiter gegangen.“

Ein Grund für das sportliche Disaster ist für viele die Causa um den PAOK Spieler Amr Warda. Nachdem der Mittelfeldspieler aufgrund der sexuellen Belästigung mehrerer Frauen aus dem Kader suspendiert wurde, dauerte es nur 48 Stunden bis die Verbandsfunktionäre eine Kehrtwendung machten. Mit Hilfe öffentlicher Statements von Spielern wie Mohammed Salah wurde Warda begnadigt und gegen Südafrika eingewechselt. Das ambivalente Vorgehen lässt auf Kämpfe zwischen Verband, Spielern und Politik schließen. Am Samstag nach der Niederlage wurde der Hashtag #TeamofHarassers in Ägypten zum Trend-Tweet Nummer eins.

Baffoe glaubt nicht an Manés Traum

Am nächsten Tag treffe ich um noblen Marriott Hotel den früheren Ghana-Kapitän und Fortuna Düsseldorf-Spieler, Anthony Baffoe, zum Interview. Er arbeitet mittlerweile für die Confederation African de Football (CAF) in Kairo und ist dort der stellvertretende Generalsekretär. Baffoe’s Prognose noch vor dem Semifinale:
„Für mich hier im Turnier ist Algerien der absolute Favorit, sie haben bisher dominiert und sind technisch sehr, sehr versiert.“
Mehr über Anthony Baffoe wird es demnächst im ballesterer zu lesen geben.

Am kommenden Freitag steigt also das Finale. Seit 1965 hat sich Senegal für 14 Endrunden qualifiziert, aber noch nie den Pokal gewonnen. Der große Traum von Sadio Mané ist es, mit dem Cup durch die Straßen von Dakar zu paradieren. Seit dem verlorenen Endspiel 2002 in Mali war Senegal nie wieder so nahe daran.

Kurt Wachter ist für die fairplay Initiative und für den ballesterer beim Afrika Cup unterwegs. Ägypten 2019 ist der mittlerweile siebte Afrika Cup, den er journalistisch begleitet. Er wird bis zum Halbfinale über das Geschehen im Stadion, aber vor allem abseits davon berichten. Diese Berichterstattung ist Teil des fairplay-Projektes "Sport für Entwicklung", das maßgeblich von der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit gefördert wird.

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